Scheitern gehört zum Leben, zum Beruf und zur Wirtschaft. Es bedeutet schon lange nicht mehr den Untergang. Wer gewinnen will, muss auch verlieren können. Das gilt für Unternehmen, für die Karriere insgesamt ebenso wie für die Absage bei der Jobsuche nach dem Traumjob. Doch unsere Vorstellungen von Erfolg und Scheitern hängen immer noch an alten Paradigmen.
Wir sind uns einig: Es geht im Leben manches daneben. Aber eigentlich sollte sich herumgesprochen haben: Scheitern ist die Voraussetzung für den künftigen Erfolg. Wer das tabuisiert, steht sich beim Bessermachen und Gewinnen selbst auf den Füssen. Wo mit Ideen, Innovationen, Wissen und Eigeninitiative gearbeitet wird, gehören das Irren und der Fehler zur Grundausstattung. Wichtig ist nur, dass man jeden Fehler nur einmal macht.
Als Personalberater interessiere ich mich daher nicht nur für die „tollen Taten“, die sogenannten „Achievements“ eines Kandidaten. Meine Erfahrung zeigt vielmehr, dass der Mensch aus seinen Niederlagen, Krisen, aus dem Weg durchs Tal der Finsternis oft viel mehr für seine Persönlichkeitsentwicklung erfährt. Man muss experimentieren, ausprobieren, Fehler machen, den erneuten Versuch wagen. Ohne diese Fähigkeit hätten wir als Kleinkinder niemals Laufen gelernt. Genaugenommen haben wir uns jeden Tag ein wenig „voran gescheitert“, bis wir Laufen konnten.
Das falsche Weltbild von Gewinnern und Verlierern
Doch warum wollen Unternehmen wie auch Führungskräfte nichts davon wissen. Scheinbar ist das Weltbild „entweder gewinnen oder scheitern“ unerschütterlich. Die Trennung von Gewinnern und Verlierern scheint ein Fundament unserer westlichen Kultur zu sein. Wir sind daran gewöhnt. Wir kennen nur Helden, Winner und Looser. Sieger und Besiegte. Triumph oder Untergang. Darunter machen wir es nicht. Kein Wunder, dass in Unternehmen so wenig Wagniskultur praktiziert wird. Die Folge ist fehlende Innovationskraft und weich gespülte Führungskräfte, die sich zum Überlebensmotto gemacht haben: „Lieber keine Entscheidung als eine falsche“. Wenn Unternehmen wirklich Innovation und Weiterentwicklung wollen, braucht es zuerst eine Kultur, die Fehler und Niederlagen zulässt. Sonst bleiben ihre Ideen in den aus Angst aufgebauten Kontrollmechanismen hängen. Wer sich traut zu experimentieren, läuft natürlich auch Gefahr zu scheitern. Wie kann man solche Misserfolge rechtfertigen? Wie häufig kann sich ein Manager Flops erlauben, bis es heißt: „Den hat das Glück verlassen? Oder: Der ist inkompetent“.
In modernen Unternehmen hat man inzwischen erkannt: Wer mit Angst regiert, ist kein guter Unternehmenslenker. Wer unter Angst leidet und führen soll, taugt nicht zur Führungskraft. Die Zukunft gehört dort denen, die Risiken als Chancen betrachten und ihre Leute angstfrei arbeiten lassen, und nach eigener Überzeugung handeln. Zugegeben – das ist nicht immer die bequemste Lösung. Aber das sind dann die Manager, die wirklich etwas bewegen im Unternehmen.
Die Angst vor dem Fehler ist übrigens vergleichbar mit der Prüfungsangst, die auch Kandidaten im Bewerbungsprozess nicht selten lähmt, die ihnen Schweißperlen auf die Stirn treibt oder sie gehemmt wirken lässt. „Bloß jetzt nichts Falsches sagen, bloß keinen Fehler machen“. Oder: „Soll ich mich da überhaupt bewerben. Da habe ich ja doch keine Chance“. Wer auf Jobsuche ist, wird, wenn er/sie ehrlich ist, zugeben, dass diese Versagensangst nicht nur bei unerfahrenen Berufseinsteigern oder Azubis vorkommt. Selbst gestandene Manager sind davon nicht frei. Man will schließlich nicht als Looser aus der Tür marschieren und eine Absage riskieren. Personalentscheider bestätigen dagegen: Der andere Typus, der des coolen, allzu souveränen Kandidaten wirkt eher suspekt und abgebrüht.
Absagen sind normal
Halten Sie sich bei der nächsten Jobsuche folgende Statistik als kleinen Mutmacher vor Augen: Die Studie „Jobtrends Deutschland“ bringt jedes Jahr wieder ans Licht: Nur etwa 12 Prozent der Bewerbungen führen zu Vorstellungsgesprächen. Davon wiederum führen nur 23 Prozent zu einem Arbeitsvertrag. Anders formuliert: Die Wahrscheinlichkeit, einen Vertrag abschließen zu können, beträgt gerade mal knapp 3 Prozent. 97 Prozent der Bewerber erhalten also eine Absage! Das ist der Normalfall. Wer als Bewerber seine Stärke und Motivation im Laufe einer Jobsuche hochhält und sich nicht von jeder Absage herunterziehen lässt, bewahrt sich seine Chancen bis zuletzt. Absagen sind normal. Wer sich darüber hinaus nicht selbst unter Druck setzt „Ich will den Job unbedingt“, geht in den Auswahlprozess weniger verkrampft hinein. Schließlich dient diese Begegnung mit dem neuen potentiellen Arbeitgeber auch dem Bewerber zur Prüfung: „Will ich hier überhaupt arbeiten?“ Denn der Umgang, die Wertschätzung, die ihm als Kandidat begegnet, wird sich später im Umgang mit ihm als Mitarbeiter fortsetzen – nicht mehr und nicht weniger. Das gilt übrigens auch für den Kontakt mit dem vielleicht eingeschalteten Personalberater. Versteht er seine Rolle nur als „Body Shopper“ oder „Profile-Schieber“ oder versteht er sich als objektiver Begleiter, Berater (auch für den Kandidaten) und als echter Botschafter des neuen Arbeitgebers? Ein Grund mehr also, mit Freude und Neugier die Einladung zum Vorstellungsgespräch zu nutzen, um einen tieferen Einblick in die Welt des neuen potentiellen Arbeitgebers zu gewinnen. Doch selbst dann gilt, dass es mit statistisch hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Zusammenarbeit kommt. Das gehört dazu. Die Entscheidung des Arbeitgebers für einen anderen – vermeintlich passenderen – Mitarbeiter ist sein gutes Recht – übrigens genauso, wie es das Recht des Bewerbers ist, sich für einen anderen Jobanbieter zu entscheiden.
Ach ja – nicht selten berichten Kandidaten, dass sie gerade solche Vorstellungsgespräche als „super gelaufen“ empfanden, bei denen sie angstfrei und weniger verbissen hineingegangen sind. So herrscht dann ein wenig Sportsgeist auf beiden Seiten: „Wer gewinnen lernt, lernt auch verlieren“.